Der richtige Moment
Bewusstes Leben

Die Sache mit dem richtigen Moment

Letztes Wochenendende unternahmen mein Partner und ich eine Rundwanderung hoch über dem Genfersee (https://www.schweizmobil.ch/fr/suisse-a-pied/itineraires/route-0266.html) und als Belohnung für die Anstrengung wollten wir anschliessend im türkisfarbenen See baden. Endlich am See angekommen wehte jedoch plötzlich ein heftiger Wind, der See war eher graublau als türkis, Wellen peitschten auf und ab, das Wasser war aufgewühlt, Schwemmholz trieb am Ufer. Nach kurzem Hin und Her wagten wir dennoch den Sprung ins aufgewühlte Nass, kämpften gegen hohe Wellen und widerspenstige Seepflanzen. Zwei Stunden später, nach einem gemütlichen Apéro bei Sonnenuntergang, war der See wieder spiegelglatt, der Himmel färbt sich langsam rosa, die Stimmung war magisch. Einen Moment lang nervte ich mich: Hätten wir nicht besser ein bisschen gewartet? Wäre es nicht romantischer gewesen, im spiegelglatten See dem Sonnenuntergang entgegenzuschwimmen? 

Gibt es den „richtigen“ Moment?

Natürlich. Doch gibt es ihn, den einen richtigen Moment? Den Zeitpunkt also, wo sich alle Puzzleteilchen auf magische Weise zusammenfügen? Den richtigen Zeitpunkt, um eine neue Stelle anzutreten, eine Familie zu gründen, ein Haus zu kaufen, eine Weltreise zu machen, ein Buch zu schreiben, ein eigenes Geschäft zu eröffnen oder eben im See zu baden? Und sollten wir wirklich auf diesen einen magischen Zeitpunkt, diese Fügung des Universums, warten? weiterlesen…

Digitalität
Gesellschaft

Zurück aus dem Dornröschenschlaf: Hallo Post-Pandemie, hallo grenzenlose Digitalität?

Manchmal läuft das Leben nicht so, wie wir es möchten. Manchmal waten wir durch endlose Moore, kämpfen uns durchs Dickicht, Äste schlagen uns ins Gesicht, so lange und so hart, bis wir nicht mehr an den Silberstreifen am Horizont glauben.

Mir ist es in den letzten zwei Jahren ein bisschen so ergangen. Das Leben hat mich geprüft. Zuerst war da die Pandemie, gefolgt vom Tod meines Vaters und einem Erbstreit, der alte Wunden aufriss. Ich blutete, ich weinte, bis ich glaubte, keine Tränen mehr zu haben, war traurig und wütend zugleich, hasste das Leben, die Welt, mich selbst. Und als ich am tiefsten Punkt angelangt war, im Tal der endlosen Tränen, war ich kurz davor, diesen Blog zu löschen. Wozu noch schreiben in einer Welt, in der Algorithmen und SEO über Lesen und Nichtlesen entscheiden? weiterlesen…

Neustart
Bewusstes Leben

Neustart: 2021, ich bin bereit!

Gestern Mittag war ich im Wald. Ich lief meine übliche Joggingrunde, kämpfte mich keuchend den gehassten Hang hinauf, kreuzte andere keuchende Joggerinnen und Jogger, manche in kurzen Hosen, manche in Wollpullis. Seit dem Lockdown hat sich die Anzahl Joggerinnen und Jogger im Wald exponentiell vermehrt, also nahm ich einen Schleichweg, kahle Äste schlugen mir ins Gesicht, ich versank knöcheltief im Schlamm, fluchte über meine nassen Füsse. Und da entdeckte ich die ersten Knospen an den Bäumen, spürte das zaghafte Wiedererwachen der Natur und wusste: Es ist auch für mich Zeit für einen Neustart.

Neustart, das hört sich verlockend an. 2020 war trist und deprimierend, ein Jahr randvoll gefüllt mit Ängsten, Trübsal und Tränen. Ein klitzekleines Etwas dominierte plötzlich den Alltag, war der Star der Show, sorgte für Negativ-Schlagzeilen, die sich bedrohlich wie dunkle Wolken am Himmel auftürmten, raubte den Schlaf und den Verstand. Menschen stritten auf einmal um Positivitätsraten, R-Werte und den Sinn und Unsinn von Massnahmen, Massentests und Masken. Ich diskutiere nicht mehr mit – nein, 2021 soll anders sein. weiterlesen…

Vegan
Gesellschaft

Clean Eating: Der tägliche Kampf ums richtige Essen

Das Café um die Ecke ist proppenvoll und 100 Prozent vegan, das Ambiente verströmt urbane Gemütlichkeit. Pastellfarbenes Keramikgeschirr, ein Kronleuchter, helle Möbel, ein Märchentelefon für die Kleinen. Mir gegenüber sitzt ein leicht angegrauter Mann und rührt in einem Beetroot-Latte, seine Begleiterin nippt an einem Detoxtee, streicht über ihr iPhone 11, schweigt. Die Stille zwischen den beiden ist laut.

Vor der Theke stehen zwei junge Mütter mit dick eingepackten Kindern und debattieren über die ausgestellten Kuchen. Ist der Rüeblikuchen wirklich vegan? Ist die Schokolade nachhaltig, sind die Mandeln biologisch, ist da Margarine drin, was ist mit Weizen und was bitte schön mit Zucker? Die Liste der bösen Lebensmittel ist lang, die Entscheidung folgenschwer. Schliesslich bestellen sie Rüeblikuchen – natürlich vegan – und Kurkuma-Latte mit Sojamilch. Eine gute Wahl. Die südasiatische Wurzel ist angeblich reich an gesundheitsfördernden Eigenschaften. Krebshemmend, antioxidativ, entzündungshemmend – wer bitte schön entscheidet sich da noch für einen Kaffee? Schnell trinke ich meinem Hafermilchcappuccino aus, das schlechte Gewissen nagt an mir.

Schuldgefühle wegen Kuhmilch

Doch muss das sein? Müssen mich Schuldgefühle plagen, weil ich am liebsten geschäumte Kuhmilch von meinem Kaffee löffle? Ich gestehe: Ich ernähre mich weder vegan noch vegetarisch und die Vorteile einer glutenfreien Ernährung haben sich mir bisher noch nicht erschlossen.

Ich bin eine Omnivorin. Das heisst: Ich esse viel Obst und Gemüse, mässig Milchprodukte und ab und zu Fleisch oder Fisch. Früher, da war das okay. Früher, da kassierte ich für meine flexitarische Ernährungsweise lediglich ab und zu eine hochgezogene Augenbraue. Ob ich denn genügend Proteine zu mir nähme? Und Eisen? Und Vitamin B12? Heute reicht ein zurückhaltender Fleischkonsum nicht mehr aus. Heute fühle ich mich auf frischer Tat ertappt, wenn ich eine Packung Schinken in mein Einkaufskörbli lege. Geht es dir auch so? weiterlesen…

Berndeutsch
Gesellschaft

Mundart unter der Lupe: Berndeutsch auf Abwegen?

Das letzte Mal geschah es in einem Schuhgeschäft in der Berner Innenstadt: Ich streifte arglos durch die Gestelle und liess meine Finger über glitzrige Ballerinas, schwindelerregend hohe Pumps und sündhaft teure Lammfellstiefel gleiten, als mich eine freundliche Stimme jäh aus meinen Träumen riss. «Chani Ihne häufe?», fragte die Verkäuferin in breitestem Berndeutsch und lächelte mich erwartungsvoll an. Ich hatte ebenfalls zu einem höflichen Lächeln angesetzt, doch das Lächeln blieb mir im Hals stecken, ich schluckte schwer, würgte eine Antwort hervor, doch der vorweihnachtliche Konsumrausch war vorbei. Raus wollte ich, bloss raus aus dem überheizten Geschäft, weit weg von der lächelnden Verkäuferin, mir die Ohren zuhalten, den pronominalen Übeltäter weit hinter mir lassen. Du fragst dich, wovon ich spreche? Von der «falschen» Verwendung der Personalpronomen im Berndeutschen, davon spreche ich!

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Graue Haare
Bewusstes Leben

Altern: Graue Haare? Na und?!

Neulich trödelte ich vor dem Zubettgehen wieder einmal im Bad herum, mein Partner tigerte bereits vor der Tür auf und ab, meine Katze miaute vorwurfsvoll und trotzdem putzte ich meine Zähne ein zweites Mal ausgiebig mit meinem neuen, zu 90 % abbaubaren Zahnbürstli aus Bambus. Die Welt roch nach Biosalbei und Biominze und ich war rundum zufrieden. Schliesslich hatte ich soeben einen Beitrag für eine bessere Welt geleistet, oder? So nahm ich mir etwas zu viel Zeit, um mich ausgiebig im Spiegel zu betrachten. Und da entdeckte ich sie: Die ersten grauen Haare. Was? Graue Haare? Ich? No way! weiterlesen…

Scheidung
Gesellschaft

Endstation Scheidung: Verlobt, verheiratet, verkracht?

Ich tummelte mich gerade in den Niederungen des World Wide Web und klickte mich durch Granatapfelentkernungstutorials, als mich die Nachricht von Thomas Gottschalks Scheidung ereilte. Ja, ich gebe es zu: Die Neuigkeit erreichte mich per Brigitte Push-Nachrichten und warum ich die erhalte, weiss ich auch nicht so genau. Aber schweifen wir nicht ab: Nach 42 Jahren Ehe lassen sich Thomas Gottschalk (68) und seine Frau Thea (73) also scheiden, Deutschland ist laut Bunte «geschockt». Kurze Zeit später geht erneut ein Aufschrei durch die Nation. Offenbar hat der Fernsehmoderator bereits eine Neue und noch dazu eine zehn Jahre Jüngere, OH MEIN GOTT!

Ganz ehrlich, ich hatte bis zu jener fatalen Nachricht keine Ahnung, wie Thomas Gottschalks Frau heisst, und die Scheidung von Thomas und Thea lässt mich ziemlich kalt. Aber die Themen Heirat und Scheidung sind für mich brandaktuell – auch wenn oder vielmehr gerade weil ich nicht verheiratet bin. weiterlesen…

Gymi
Gesellschaft

Bildung: Warum das Gymi nicht alles ist

Hast du auch ein Samstagmorgenritual? Meins besteht darin, Tee aus einer rosaroten Einhorntasse zu trinken, Marmeladenbrötchen zu essen und «Das Magazin» zu lesen. Doch vorletzten Samstag blieb mir das Brötchen schier im Hals stecken. Ausgelöst hatte mein Beinahe-Ersticken ein Artikel über die Probezeit am Gymnasium. Im fraglichen Artikel schildert ein Vater die Probezeit seiner Tochter an einem Zürcher Gymnasium und die damit verbundenen Leiden seiner Familie. Ein Jahr zuvor hatte er bereits von den unmenschlichen Strapazen berichtet, die seine Familie vor den Gymiprüfungen der Tochter durchstehen musste. Doch inzwischen geht das Töchterchen tatsächlich aufs Gymi – und muss weitere schwere Prüfungen bestehen, um definitiv aufgenommen zu werden. weiterlesen…

Januar-Blues
Bewusstes Leben

Januar-Blues: Warum es sich lohnt, das Jahr ruhig anzugehen

Liebe Leserin, lieber Leser, leidest du auch unter dem Januar-Blues? Hast du die Minustemperaturen, die ewige Dunkelheit und deine ambitiösen Neujahrsvorsätze langsam satt? Und bist du auch der Meinung, dass der Januar der vertrackteste Monat des Jahres ist?

Es ist doch so: Jeder Monat tanzt nach seinem eigenen Rhythmus – und der Januar ist besonders verkrampft. Der Dezember tanzt wie eine barocke Schönheit – schwerfällig, frivol und ein bisschen behäbig. Im Dezember lassen wir es uns gut gehen. Wir werfen das schwer verdiente Geld leichtfertig zum Fenster hinaus, schlagen uns die Bäuche voll, feiern die Liebe und schlafen wie Murmeltiere. Der Januar hingegen ist ein Miesepeter. Wenn er tanzt, dann tritt er höchstens zur Pflicht an. Doch viel lieber rennt und keucht er wie ein Leistungssportler. Sobald die Neujahrsglocken erklingen, kommt er ehrgeizig aus der Startbahn geschossen, sein Puls rast, seine Augen sind starr auf die Ziellinie gerichtet. Und unaufhörlich krächzt er: Abnehmen! Sparen! Trainieren! Verbessern! Optimieren! Das neue Jahr soll schliesslich besser werden als das alte.

Dementsprechend ächzen die Regale der Buchhandlungen im Januar unter all den Büchern zu Saftdiäten und Self-Growth-Ratgebern, die Zeitschriften überbieten sich mit Tipps zum Intervallfasten, zur Low-Fat-Küche und zur Senkung des Bluthochdrucks, Fitnessstudios haben Hochkonjunktur, in den sozialen Medien boomen Hashtags wie #Veganuary oder #Dryjanuary und selbst bei eisigem Wetter trifft man im Wald auf beleibte Jogger, die sich in viel zu warmer Kleidung schwer schwitzend verschneite Hügel hinaufschleppen. Oh Januar, du bürgst uns viel zu viel auf!

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Selbstfindung
Bewusstes Leben

Selbstfindung oder Selbsterfindung, das ist hier die Frage!

Ich entsorgte gerade Papier, Glas und Dosen und nervte mich über die Katzenfutter-, Olivenöl und Rotweinreste, die sich am Boden meiner Tasche zu einem ekligen Etwas vereint hatten, als mir der Satz an der gegenüberliegenden Mauer ins Auge sprang. Da hatte jemand in leuchtend blauen Buchstaben drei simple Wörter hingeschmiert: «Was wosch sy?»

Die drei leuchtend blauen Wörter sahen mich herausfordernd an. Sie kitzelten mich, sie neckten mich und sie liessen mich nicht mehr los. Sie begleiteten mich auf dem Nachhauseweg, beim Abendessenkochen und beim Einschlafen. Denn was, wenn die entscheidende Frage nicht lautet, wer wir sind, sondern wer wir sein wollen? Oder anders ausgedrückt: Ist die Selbsterfindung die neue Selbstfindung? weiterlesen…