Montagvormittag bei der Arbeit: Es sind Sommerferien, die Leute schlurfen in Badekleidung am Büro vorbei, unter ihren Armen klemmen bunte Gummieinhörner, Gummienten oder Gummiflamingos. Die Aare wartet. Neidisch blicke ich den immer kleiner werdenden Einhörnern hinterher. Für mich gibt es den Aareschwumm erst nach Feierabend – meine Sommerferien sind bereits Geschichte, die Geschichte ist schnell erzählt. Zwei Wochen Kroatien, viel Sonne, viel Wein, zu viele Touristen. Meine Gedanken schweifen ab, schlaftrunken klicke ich durch meine E-Mails, kämpfe mich durch Newsletters, Werbung, Werbung und noch mehr Werbung. Ein Kontingent für Werbung, das wäre doch mal was, oder? Und da stolpere ich über folgenden Satz, der mich unsanft in die montagmorgendliche, nach Kaffee und Gipfeli duftende Arbeitsrealität zurückholt: „Nutzen Sie die Urlaubszeit, um sich um Ihre Weiterbildung zu kümmern!”
Arbeit
Kennst du das? Du schlenderst an einem gewöhnlichen Samstag durch die Stadt. Der Ausverkauf ist gerade in vollem Gang, die Schaufenster sind tapeziert mit grellen Plakaten, die «Sale» schreien und um deine Aufmerksamkeit buhlen. Die Marketingstrategien sind offenbar erfolgreich, denn du ertappst dich dabei, wie du dich intensiv mit den Stiefeln beschäftigst, die du eben gesehen hast. Jetzt überlegst du hin und her, ob es die schwarzen oder braunen sein sollen und ob du überhaupt neue Schuhe brauchst.
Dir ist natürlich klar, dass dich diese Stiefel nicht glücklich machen werden. Schliesslich steckt noch ein Fünkchen Vernunft in dir. Und du weisst auch, dass du Stiefel im Schrank stehen hast, die es gut noch ein halbes Jahr machen werden. Und dass der endlose Ressourcenverschleiss die Welt in den Abgrund zu stürzen droht. Die Doku über die Kleiderindustrie kommt dir in den Sinn, die du letzten Samstag geguckt hast, und du erinnerst dich mit schlechtem Gewissen an deine guten Vorsätze.
Die nervigste aller Fragen: «Und du, was machst du so?»
Und dann steht plötzlich wie aus dem Nichts eine ehemalige Klassenkameradin vor deiner Nase und reisst dich unsanft aus deinen Gedanken. Nach einer zaghaften Begrüssung stellt sie dir die eine Frage. Die eine Frage, die du nicht mehr hören kannst. Die eine Frage, die in deinen Ohren schmerzt und einen Würgereiz im Hals auslöst: «Und duuuuuuuuuu, was machst du so?»
Klar, du könntest jetzt nonchalant antworten: «Ich denke gerade über mein Konsumverhalten nach, über die Kinderarbeit in Bangladesch und den Dauerausverkauf in unseren Läden.» Diese Antwort würde deine Ex-Klassenkameradin garantiert vor den Kopf stossen und sie würde sich fragen, ob du noch alle Tassen im Schrank hast. Denn darauf zielt ihre Frage natürlich nicht ab. Ihre Frage betrifft vielmehr das Heiligtum unserer Gesellschaft: die Lohnarbeit.