Momentan beschäftigt mich ein Thema stark: der Selbstbetrug. Aber schön der Reihe nach. Alles begann damit, dass wir in unserer Firma eine Stelle ausgeschrieben hatten. Wochenlang kämpfte ich mich durch Bewerbungsdossiers, machte mir Notizen, fragte nach, sortierte. Auf meinem Pult stapelten sich Karriereträume, säuberlich getrennt in drei Kategorien: Out – in – Stand-by. Tatsächlich schaffte es nur etwa jedes zehnte Dossier, meine Aufmerksamkeit zu erregen und auf dem Tisch meines Vorgesetzten zu landen. Woran lag das? Was unterschied die guten von den schlechten Bewerbungen?
Natürlich zählten die harten Fakten, die Berufserfahrung, die Aus- und Weiterbildung, die Sprachkenntnisse, die Arbeitszeugnisse. Aber das Zünglein an der Waage spielte letztlich ein weicher Faktor: die Motivation.
Und genau da lag das Problem. Viele Bewerberinnen und Bewerber scheiterten, weil sie ihre Motivation nicht aufs Papier brachten. Weil sie nicht schlüssig erklären konnten, warum sie sich exakt für diese Stelle bewarben und ausgerechnet bei uns ihre Brötchen verdienen wollten.
Wofür brennst du?
Warum ist das so? Ich kann nur für mich selbst sprechen: Wusste ich haargenau, warum ich mich für den jeweiligen Job bewarb, brannte ich innerlich dafür, dann schrieb sich die Bewerbung fast von alleine. Stockte ich jedoch beim Schreiben, sog ich mir verzweifelt Argumente aus den Fingern, warum mich ein Job interessierte, dann war dies das untrügliche Zeichen dafür, dass ich eben nicht motiviert war. Dass ich den Job gar nicht wollte. Und dass ich mich letztlich selbst betrog.
Ganz ehrlich: Nach meinem Studium hatte ich keine Ahnung, wohin ich beruflich wollte. Ich schwamm buchstäblich im Ozean der schier endlosen Karrieremöglichkeiten. Orientierungslos bewarb ich mich auf jegliche Stellen, die entfernt etwas mit meinem Studium zu tun hatten – und das sind bei einem Orchideenfach wie Sozialanthropologie nicht gerade viele. Brav erfüllte ich die Auflagen vom RAV und schrieb tagein, tagaus Motivationsschreiben für Jobs, in denen ich mich überhaupt nicht sah. Bewarb mich auf Stelleninserate, die es schafften, dass mein Gesicht vor Langweile einschlief. Und ja, ich wunderte mich, dass ich zu keinem Bewerbungsgespräch eingeladen wurde!
Der Myers-Briggs-Typenindikator (MBTI): Do what you are!
Dann empfahl mir eine Kollegin ein Buch, das mir die Augen öffnete. «Do what you are» lautet der Titel, tu das, was du bist. Die Autoren des Buchs, Paul D. Tieger und Barbara Barron, propagieren, der Schlüssel zur beruflichen Zufriedenheit liege darin, seinen Persönlichkeitstyp zu kennen. Dabei stützen sie sich auf den Myers-Briggs-Typenindikator (MBTI), ein Modell, das auf Theorien der Psychologen Carl Jung, Katharine Briggs und Isabel Briggs Myers fusst und sich im angloamerikanischen Raum grosser Beliebtheit erfreut. Der Rat von Tieger und Barron ist simpel, aber einleuchtend: «The secret of career satisfaction lies in doing what you enjoy most. […] Concentrate […] on who you are, and the rest will fall into place.»
Ich leugne es nicht: Die ersten Seiten des Buchs las ich mit einer gewissen Skepsis. Zum einen erschien mir der Ansatz etwas banal und zu schön, um wahr zu sein. Zum anderen ist der Myers-Briggs-Typenindikator in der Wissenschaft umstritten und gilt als wenig verlässlich. Doch allen rationalen Argumenten zum Trotz traf mich das Resultat meines Persönlichkeitstests mitten ins Herz. Und mehr noch: Es setzte etwas in mir in Bewegung, rüttelte an meinen schlafenden Träumen, reichte dem vergessenen Kind in mir die Hand. Warum?
Erstens fand ich mich in der Beschreibung meines Persönlichkeitstyps (INFP) fast zu 100% wieder. Und zweitens entsprachen die mir – beziehungsweise meinem Persönlichkeitstyp – empfohlenen Berufen genau jenen Tätigkeiten, die mich als Kind so sehr in den Bann gezogen hatten, dass ich die Welt um mich herum vergessen konnte: schreiben, lesen, zeichnen, malen, schauspielern, Geschichten ausdenken. Jene Hobbys, die ich beruflich nicht weiterverfolgte, weil ich zu wenig Mut hatte. Weil ich zu wenig an mich glaubte. Und zu viel zweifelte.
Selbstverleumdung und zugeschüttete Kindheitsträume
Nach der Lektüre verstand ich plötzlich meine Orientierungslosigkeit. Ich erkannte, wozu meine jahrelang praktizierte Selbstverleumdung geführt hatte: Nämlich dazu, dass ich mich selbst verloren hatte. Mir wurde schmerzlich bewusst, dass ich meine Kindheitsträume zugeschüttet hatte. Mit Mitte dreissig grabe ich sie nun langsam wieder aus. Schicht um Schicht. Das braucht viel Zeit, Kraft und Energie. Und ich bin mir bewusst, dass ich noch einen langen, steilen Weg vor mir habe. Doch jeder Schritt in die richtige Richtung ist besser als keiner, oder?
Aber um auf die Stellensuche zurückkommen: Liebe Leserin, lieber Leser, ich möchte dir Folgendes ans Herz legen: Sei ehrlich zu dir selbst. Bewirb dich nicht wahllos auf Jobs. Und zwar dir zuliebe. Denn zu wissen, wofür man brennt, ist so wichtig wie die Luft zum Atmen. Und glaub mir, deine künftigen Arbeitgeber werden es dir ebenfalls danken. Weil ein unmotivierter Mitarbeiter normalerweise keinen guten Job macht. Und lass dir abschliessend gesagt sein: Ein uninspiriertes Motivationsschreiben ist wie ein Marmeladenbrot ohne Marmelade: Niemand beisst an beziehungsweise rein.
Liebe Leserin, lieber Leser, tust du das, was du bist? Hinterlasse mir gerne einen Kommentar.
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