Yoga
Grosse Fragen, kleines Glück, bewusstes Leben

Yoga jenseits von Verrenkungen und Lifestyle

Der Schweiss strömt mir übers Gesicht. Meine Beine zittern verdächtig. Im winzigen Yogastudio riecht es nach menschlichen Ausdünstungen, Anstrengung und Ehrgeiz. Das hohe Tempo raubt mir buchstäblich den Atem. Asana jagt Asana. Dabei sollten wir uns doch auf unseren Atem konzentrieren. Aber ich bin viel zu beschäftigt mit der korrekten Ausführung der einzelnen Bewegungen. Muss ich den rechten Arm über dem linken verknoten oder genau umgekehrt? Und was bitte schön soll ich mit meinen Beinen anstellen?

Wo Kapitalismus auf Spiritualität trifft

Möglichst unauffällig schiele ich nach den anderen Kursteilnehmern. Die Frau rechts von mir schaut sich ebenfalls verstohlen um und lächelt mir zu. Ob das ein Friedensangebot sein soll? Vorhin hat sie mir unabsichtlich den Arm in die Seite gerammt. Denn Platz ist hier Mangelware, die Matten schmiegen sich so dicht aneinander wie frisch Verliebte.

Mussten wir deshalb zu Beginn des Kurses ein Formular unterschreiben, dass wir jegliche Verletzungen selbst zu verantworten haben? Zählen marktwirtschaftliche Überlegungen und juristische Bürokratie am Ende des Tages doch mehr als Zen und Achtsamkeit?

Der ältere Mann zu meiner Linken streift mich derweil mit einem triumphierenden Blick und hievt sich schwer atmend in den Kopfstand. Wie ein Hochleistungssportler wirkt er, nicht wie ein Sadhu. Was bitte soll daran entspannend sein?

Meine Oase der Ruhe

Um möglichen Missverständnissen gleich vorzubeugen: Ich bin eine richtige Yoga-Enthusiastin. Yoga ist meine kleine Oase der Ruhe in dieser lauten Welt. Auf der Yogamatte fühle ich mich zu Hause. Und viel mehr als das. Denn – so kitschig und abgegriffen es klingt – die Yogapraxis hat mich verändert.

Ich habe gelernt, meine Gedanken zu beobachten. Und mich nicht in ihnen zu verkrallen. Ich habe gelernt, mit mir selbst zufrieden zu sein. Und mich nicht ständig mit meinen Mitmenschen zu vergleichen. Na ja, sagen wir ab und zu. Und ich habe gelernt, die Magie des Alltags bewusster zu geniessen: Den dampfenden Boden nach einem Sommergewitter, den Gesang der Vögel am Morgen oder den Duft vom frisch geschnittenem Gras.

Umso enttäuschter verlasse ich das Yogastudio an jenem Samstagnachmittag. Das kleine Glück am Wegrand nehme ich diesmal kaum wahr  – ich bin zu erledigt. Meine Gedanken rattern, meine Schultern schmerzen. Entspannung fühlt sich anderes an. Zum Glück habe ich nur ein Schnupperabo gelöst!

Vom Aerial Yoga bis zum Doga

Meine schweisstreibende Erfahrung macht mich nachdenklich. Yoga ist zum Lifestyle mutiert und so hip wie noch nie. Yogastudios schiessen wie Pilze aus dem Boden, Yogabücher füllen die Regale von Buchhandlungen, Yogavideos generieren tausende von Klicks auf Youtube und neue Yogarichtungen wie Aerial Yoga, Hot Yoga, Paddelboard-Yoga oder Hormon-Yoga konkurrieren um künftige Yoginis und Yogis. Sogar Doga ist mittlerweile in aller Munde – Yoga für Hunde.

Doch ob der ganze Hype dem Yoga guttut? Nehmen wir zum Beispiel das Hot Yoga. Dabei geht es darum, Yoga in einem fast 40 Grad warmen Raum zu üben. Das Tempo ist halsbrecherisch, die Kleidung knapp. Ich frage mich: Geht es hier noch um Spiritualität oder doch eher um Fitnesswahn, Drill und Äusserlichkeiten?

Yoga ist kein Leistungssport

Eins steht fest: Ich werde weiterhin regelmässig meine Yogamatte ausrollen und verschiedene Stile ausprobieren. Doch mit den fitnessbetonten Richtungen werde ich mich nie anfreunden können. Denn ich suche in den Asanas weder den Vergleich noch die Leistung. Im Gegenteil: Yoga ist für mich ein Mittel, um genau diesem Hamsterrad aus Leistungsdenken, Vergleich, negativen Gedanken und Unzufriedenheit zu entkommen.

Liebe Leserin, lieber Leser, deine Meinung interessiert mich: Wie stehst du zum Yoga-Hype? Und was bedeutet dir Yoga? Ich freue mich, von dir zu lesen!

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